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"Politischer Druck wird bis zu letzten Stunde gebraucht"

 

7. Dezember 2009
Barbara Unmüßig.
Warum fahren Sie – trotz der pessimistischen Medienberichterstattung – nach Kopenhagen?

Im Vorfeld vom Scheitern zu reden, hilft nicht weiter. Klimaschutz braucht dringend globale und verbindliche Absprachen und Regeln. Das einzige existierende völkerrechtsverbindliche Abkommen, das Reduktionen von Klimagasen vorschreibt, das Kyoto-Protokoll, läuft 2012 aus. Die Klimawissenschaft ruft gleichzeitig mit dringlichen Appellen zum Handeln ohne Zeitaufschub auf. Kopenhagen muss deshalb ein historischer Meilenstein für den globalen Klimaschutz werden. Dort müssen Grundlagen für ein ambitioniertes und gerechtes Abkommen geschaffen werden, auch wenn danach noch Details ausgehandelt werden müssen.

Die Staats- und Regierungschefs wie auch die verschiedenen Ländergruppen streiten sich aber noch heftig. Nichts ist wirklich klar vor Kopenhagen. Politischer Druck wird deshalb bis zu letzten Stunde gebraucht. Die internationale Zivilgesellschaft, zu der wir uns als politische Stiftung zählen, tut also gut daran, die Weltöffentlichkeit in Kopenhagen zu nutzen und ununterbrochen die Politik zu verantwortungsvollem Klimahandeln zu drängen.

Allerdings darf es auch kein Verhandlungsergebnis um jeden Preis geben. Wir werden mit unseren Mitstreitern und Mitstreiterinnen vor allem dafür sorgen müssen, dass es ein Ergebnis ist, das den Klimaschutz auch tatsächlich voranbringt, Emissionen massiv reduziert und Gelder für Klimavermeidung und Klimaanpassung vor allem für die Länder des Südens schnell und ohne lange Umwege zur Verfügung stellt.

Was sind die zentralen Konfliktfelder in den Verhandlungen?

Erstens ist die Verteilung der Pflichten zur Reduktion von Klimagasen unter den Industrieländern hochgradig umstritten. Die Europäische Union will mindestens 20 Prozent reduzieren und pocht auf das Basisjahr 1990. Die USA bieten minus 17 Prozent an, aber auf der Basis von 2005, was im Verhältnis zu 1990 nur minus vier Prozent bis 2020 bedeuten würde. Kanada kommt mit leeren Händen, Japan will immerhin 25 Prozent reduzieren.

Zweitens gibt es den großen Konflikt zwischen den Industrie- und Schwellenländern. Sollen Schwellenländer verbindlich zu Reduktionen verpflichtet werden? China, Indien, Brasilien oder Südafrika wehren sich dagegen. Sie sind bereit, überprüfbare Verpflichtungen in ihren Ländern zu übernehmen, wollen sich aber nicht völkerrechtsverbindlich festgelegen. Außerdem machen sie diese Verabredungen vom Finanztransfer aus dem Norden abhängig. Die Industrieländer wollen ihrerseits aber nur Finanztransfer leisten, wenn sich die Schwellenländer nachprüfbar dazu verpflichten, dass ihre Emissionen bis zum Jahr 2020 um bis zu 30 Prozent weniger ansteigen als bisher. Das bedeutet, sie sollen vom Business as usual abweichen: Ihre Emissionen dürften noch wachsen, aber nicht so schnell wie bislang.

Es wird also ein großes Verhandlungspoker geben und in großem Maßstab gerechnet – nicht nur bei den Reduktionsprozenten, sondern gerade auch beim Konfliktthema Finanzen. Wie viel wird gebraucht und wie viel wird vom Norden auf den Tisch gelegt? Ist es zusätzliches Geld oder wird es mit den Zusagen für Entwicklungshilfe und Armutsbekämpfung verrechnet? Auch die Frage, wer über das Geld entscheidet und welche Institutionen es verwalten, wird eine Rolle spielen. Umstritten ist außerdem zwischen Nord und Süd, ob ein Folgeabkommen für das Kyoto Protokoll verhandelt wird oder ein komplett neues Abkommen.

Welche Schwerpunkte setzt die Heinrich-Böll-Stiftung und auf welche Weise versucht sie, in diesen Bereichen Einfluss zu üben?

Wir sind mit einer eigenen Delegation und zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen aus über 20 Ländern in Kopenhagen. Wir haben in den letzten Jahren sehr in den Aufbau von Kapazitäten und in die Vernetzung von klimaengagierten Akteuren in unseren Partnerländern investiert. Wir haben Bewusstseins- und Informationskampagnen mitinitiiert und nicht ganz unwesentlich dazu beigetragen, dass auch die Politik in Schwellen- und Entwicklungsländern den Druck der Zivilgesellschaft stärker zu spüren bekommt. Wir sind mit unseren Partnerinnen und Partnern längst als Akteur anerkannt, der vor Ort klima- und armutsgerechte Wirtschafts- und Sozialpolitiken einfordert.

Kopenhagen ist deshalb für uns eine von mehreren Handlungsebenen, aber eine wichtige, wo endlich auch die Zivilgesellschaft aus den Schwellen- und Entwicklungsländern ihre Stimme und ihre Forderungen einbringen können – zum Beispiel bei den Verhandlungsdelegationen aus dem Süden, zu denen unsere Partnerinnen und Partnern in den letzten Jahren Kontakte aufgebaut haben.

Präsent sind wir mit zahlreichen Veranstaltungen beim dänischen NGO-Klimaforum. Dort bieten wir Workshops zu Themen wie zur Klimapolitik Indiens oder den USA oder zur Waldinitiative Brasiliens an. Klimafinanzierung als auch Klimawandel und Geschlechtergerechtigkeit sind andere Themenfelder, die wir in mehreren Ländern bearbeiten. Auch dazu gibt es Workshops beim Klimaforum, sowie bei den offiziellen Side Events der Konferenz. Klimagerechtigkeit und demokratische Teilhabe an den Entscheidungsprozessen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene sind unser zentrales Anliegen. Gerade letzteres war lange ein Defizit, besonders bei den internationalen Klimaverhandlungen. Hier haben eher die nördlichen Umweltschutz¬organisationen dominiert. Das hat sich sehr gewandelt. Wir nutzen die Präsenz der Weltöffentlichkeit und wollen vor allem Druck auf die Staats- und Regierungschefs machen, endlich und ohne Zeitverzug das Notwendige für den globalen Klimaschutz zu tun. Die Klimawissenschaft hat hierfür längst geliefert. Jetzt ist die Politik dran!

 
 

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Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.